Pflege-Thermometer 2018
Eine bundesweite Befragung von Leitungskräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung in der teil-/vollstationären Pflege
Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) führt seit 2002 im Rahmen der Pflege-Thermometer-Reihe umfassende Studien zur Situation der Pflege und zur Versorgung in unterschiedlichen Sektoren der Betreuung und Pflege durch. Mit dem Pflege-Thermometer 2018 werden exklusiv auf dem Deutschen Pflegetag die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung in der teil-/vollstationären Pflege vorgestellt
Die Ergebnisse basieren auf einer bundesweiten Befragung. 13.600 Einrichtungen wurden dazu im Herbst 2017 angeschrieben. In die Auswertung eingeschlossen werden konnten 1.067 zugesandte Bögen. Bezogen auf die Verteilung nach Bundesländern, die Bettenkapazität und die Pflegegradverteilung sind die vorliegenden Daten repräsentativ und erlauben generalisierbare Aussagen zur Situation in den Einrichtungen im Bundesgebiet. Die Aussagen beziehen sich auf die Einschätzungen von Leitungskräften (Heimleitungen/ Pflegedienstleitungen) der Einrichtungen. Neben der Erfassung relevanter Kennzahlen werden im Rahmen der Untersuchungen auch relevante Einschätzungen der Experten vor Ort zu aktuellen Themen erfasst. Im Pflege-Thermometer 2018 wurden in insgesamt 41 Frageblöcken die folgenden Themen behandelt: Struktur der Einrichtung, Technisierung / Technologieeinsatz, Personal und Mitarbeitergewinnung/ Personalmobilität, Mitarbeitersituation/
-gesundheit, finanzielle Rahmenbedingungen/ Entwicklungen, regionale Versorgungssicherung, aktuelle Entwicklungen (z.B. Einschätzungen zu den Auswirkungen der PSG I-III/ SIS).
In der vorliegenden Presseinformation werden ausgewählte zentrale Ergebnisse vorgestellt.
Hohe Auslastung und Kapazitätsgrenzen werden deutlich
Die befragten Einrichtungen weisen zu 81 % Einbett-Zimmer aus, 13 % geben an, ausschließlich über Einbett-Zimmer in der Einrichtung zu verfügen. Damit folgen sie den Umsetzungen aus z.B. Wohn- und Teilhabegesetzen und analogen Landesgesetzgebungen mit der Forderung der Gewährleistung einer Autonomie und Privatheit im Alter. Dabei werden zugleich (u.a. bedingt durch die Umwandlung) Kapazitätsgrenzen deutlich. 71 % der Einrichtungen geben an, dass Wartelisten auf vollstationäre Langzeitpflegeplätze bestehen. Dies korrespondiert mit der Aussage, dass 83 % in den vergangenen drei Monaten Anfragen zur Aufnahme in die Langzeitpflege ablehnen mussten.
42 % äußern, dass sie in 2017 keine oder nur sehr wenige eingestreute Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung stellen konnten. 84 % mussten diesbezüglich in den vergangenen drei Monaten Anfragen ablehnen.
Lediglich 38 % beurteilen das Angebot der vollstationären Pflege in ihrer Region als (voll-)umfänglich gesichert. Im Bereich der Kurzzeitpflege schätzen nur 15 % die Kapazitäten als (voll-)umfänglich gesichert ein. 42 % schätzen den Bedarf an Tagespflegeplätzen als tendenziell nicht oder gar nicht gesichert ein. Bezogen auf die zukünftige Entwicklung gehen 58 % von einem kontinuierlich wachsenden Bedarf bezogen auf ihre Einrichtung aus. Rund 9% planen für das laufende Jahr einen Ausbau an Bettplätzen in der Langzeitpflege, 7 % in der Kurzzeitpflege und rund 10 % einen Ausbau des Tagespflegeangebots.
Bezogen auf die Bewohnersituation geben die Leitungskräfte an, dass durchschnittlich zwei von drei Bewohnern an neurokognitiven Störungen (z.B. Demenz) leiden. 82 % beobachten eine Zunahme an komplexen medizinischen
Problemlagen und zwischen 30 % und 38 % sehen zusätzliche Veränderungen bezogen auf eine steigende Anzahl an Bewohnern mit Suchtproblematiken (31 %), Bewohnern ohne Angehörige (33 %) und Bewohnern aus schwierigen sozialen Haushaltsverhältnissen (Verwahrlosung/ Vereinsamung - 38 %). Damit verbunden werden auch steigende Anforderungen an die Mitarbeiter, die durch die Zunahme an herausfordernden Verhaltensweisen
(55 %), zunehmende grund- und behandlungspflegerische Anforderungen (52 %) sowie auch durch aufwendigere Angehörigenbetreuungsaufgaben (52 %) gefordert sind.
Fachkräftemangel ist Nadelöhr der Entwicklung
Der bundesweite Fachkräftemangel, wie er u.a. von der Bundesarbeitsagentur beschrieben wurde, wird in der vorliegenden Studie bestätigt. Er zeigt sich einerseits in einer unzureichenden Bewerberlage insgesamt (81 %); in der Schwierigkeit, die offenen Stellen zeitnah zu besetzen (84 %) sowie in einer beobachteten Abnahme der Qualität der Bewerbungen
(83 %). 30 % der Leitungen geben dabei an, dass sie offene Stellen nicht mehr bei der Arbeitsagentur melden, sodass davon ausgegangen werden muss, dass der in der Bundesstatistik benannte Wert der offenen Stellen in der Altenpflege in der Realität deutlich höher liegt.
Auf der Basis der vorliegenden Kennzahlen kann von aktuell ca. 17.000 offenen und direkt zu besetzenden Stellen in den Pflegeberufen ausgegangen werden. Rund 14.000 davon sind offene Stellen für dreijährig ausgebildete Personen.
Die Einrichtungen sind sehr aktiv bei der Mitarbeiterakquisition und Mitarbeiterbindung. Neben Maßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutzmaßnahmen realisieren sie zunehmend flexible Arbeitszeiten (56 %) und spezifisch den späteren Beginn für Frauen mit Kindern im Kita-/Schulalter (60 %). Sie wirken auf Ausbildungsmessen mit (51 %) und bieten auch die Ausweitung von Teilzeitstellen an (41 %). Auch die Unterstützung und Konzepte zur Wiedereingliederung nach Elternzeit
(40 %) sind ebenso verbreitet wie die gezielte Unterstützung bei Krisensituationen und psychischen Belastungen (40 %). Ebenfalls werden von 40 % der Einrichtungen außertarifliche Zulagen gewährt. Prämiensysteme (22 %), Unterstützungsangebote bei der Wohnungssuche und Maklern (19 %) sind seltener, ebenso eigene Betriebskindergärten (10 %).
Die Personalrekrutierung ist nur lokal begrenzt möglich und stellt sich daher als eine regionale Herausforderung dar. 91 % geben an, dass die Mitarbeitenden in einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern von der Einrichtung entfernt wohnen, wobei mehr als die Hälfte (55 %) im Umkreis von 10 Kilometern wohnt. Auch die Auszubildenden leben überwiegend in der direkten Nähe (86 % im Umkreis von bis zu 20 Kilometern). 56 % der Leitungen geben an, dass der maximale Rekrutierungsraum zwischen 21 und 40 Kilometern liegt. Darüber hinaus kann kaum oder gar nicht Personal gewonnen werden. Dies verweist auf die wichtige Frage nach der regionalen Versorgungssicherung, die die Perspektive der Ausbildungsstandorte (Altenpflegefachseminare/ Schulen der Altenpflege) mit einschließen muss.
Die Leitungskräfte beobachten gegenüber dem Vorjahr steigende Belastungen für die Mitarbeitenden, was sich in einer Erhöhung der Krankheitsdauer (43 %), der Erhöhung der Krankheitstage (41 %) sowie der Krankheitsschwere (31 %) sowie der Steigerung der Anzahl der geleisteten Überstunden (28 %) ausdrückt. Bezogen auf die betrieblichen Gesundheitsrisiken dominieren Auswirkungen auf den Muskel- und Skelettbereich (78 %) vor Auswirkungen psychischer Belastungen (71 %). Als drittes schwerwiegendes Risiko wird Gewalt gegenüber Pflegenden benannt (42 %). Die Einrichtungen reagieren darauf mit Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Der Fachkräftemangel erweist sich als erlösrelevant und einschränkend bezogen auf betriebliche Entwicklungen. Jede vierte Einrichtungsleitung gibt an, dass sie aufgrund des Personalmangels die betrieblichen Ziele in 2017 nicht erreichen kann. 34 % äußern, dass sie strategische Entwicklungen aufgrund eines Personalmangels in der Pflege nicht vornehmen können. Dem stehen 34 % gegenüber, die von einem Personalmangel explizit nicht betroffen sind. 22 % der Leitungen gaben an, dass sie in den vergangenen drei Monaten aufgrund eines Personalmangels selbsttätig einen temporären Aufnahmestopp ausgesprochen haben.
Gesetzliche Reformen werden durchwachsen beurteilt
In der vorliegenden Studie wurden u.a. Fragen zu den Auswirkungen des PSG I-III gestellt. Knapp jeder dritten Einrichtung ist es gelungen, in den Pflegesatzverhandlungen nach Einführung des PSG II zusätzliche Personalstellen zu verhandeln und diese auch zu realisieren. Rund 30 % aber gaben an, dass zur Verfügung stehende Finanzmittel nicht eingesetzt werden konnten, weil kein Personal rekrutiert werden konnte. Die Einrichtungen beobachten in der Überführung der Pflegestufen in die Pflegegrade, dass Neueinstufungen tendenziell zu einer niedrigeren Eingruppierung führen (58 %). Sie beobachten insgesamt die Schwierigkeit, aus ihrer Perspektive notwendige Höhergruppierungen gegenüber dem MDK durchzusetzen (54 %). 38 % der Leitungen befürchten, dass sie ab 2018 durch die Pflegegrade finanzielle Einbußen erfahren werden. 46 % geben an, dass sie ein Instrument zur Personalsteuerung nach Pflegegraden / Erlösen einsetzen werden, und 48 % sehen gegenüber den Pflegestufen keine Verbesserung hinsichtlich der Abbildung des realen Pflegeaufwands. Darüber hinaus äußern 42 %, dass sie zukünftig Bewohner erst ab dem Pflegegrad III aufnehmen werden. 56 % geben an, dass die Pflegereformen (PSG I-III) nicht zu einer besseren finanziellen Ausstattung der stationären Einrichtungen führen und 35 % geben an, dass die Personalkalkulation der Einrichtung sich durch die Einführung der Pflegegrade verschlechtert hat. Eine gleiche Ausprägung hat die Frage nach der Finanzsteuerung insgesamt. Auch diese wird als verschlechtert wahrgenommen.
In der Summe negativ wird auch die Pflegebildungsreform bewertet. 56 % befürchtet, dass das Ausbildungsinteresse für den Pflegeberuf insgesamt sinken wird. Noch deutlicher wird dies bezogen auf das Interesse an einer Ausbildung im Altenpflegesektor. Hier sind es 71 %, die von einer Absenkung ausgehen. Korrespondierend dazu gehen 66 % davon aus, dass das Interesse an einer nachfolgenden Arbeit im Feld der Altenpflege bei Absolventen sinken wird. Möglichkeiten und Chancen, die sich u.a. daraus ergeben, Krankenpflegende in Praktika für die Arbeit im Feld der Altenpflege zu begeistern, werden skeptisch eingeschätzt.
38 % sehen hier keine zusätzliche Chancen gegenüber 25 %, die dies annehmen. Deutlicher ist das Votum bezogen auf die Möglichkeit der primären Akademisierung. Hier sind es 47 %, die darin keine zusätzlichen Chancen sehen, und nur 18 % sehen dies positiv. Als positiver Aspekt wird jedoch die bundesweite Befreiung vom Schulgeld bewertet. 67 % sehen hierin eine Chance für zusätzliche Anwerbungsmöglichkeiten.
Stark positiv beurteilt werden die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile. Diese führen, den Aussagen der Leitungen zufolge, zu einer höheren Akzeptanz hinsichtlich einer Höherstufung des Pflegebedürftigen seitens der Angehörigen (70 %). 56 % sehen hier auch eine Reduzierung im Konfliktpotenzial mit Angehörigen. Tendenziell neutral bewertet wird, dass die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile zu einer Reduzierung von Bewohnern in niedrigeren Pflegegraden führen könnten.
Ebenso werden der strukturierten Informationssammlung (SIS) überwiegend positive Bewertungen gegeben. 56,6 % stimmen hier stark oder vollumfänglich der Aussage zu, dass SIS zu einer Entlastung der Pflegekräfte im Bereich der Dokumentation führt. 51 % sehen hier einen Gewinn in der größeren Klarheit bezogen auf die Inhalte der Dokumentation und 43 % geben an, dass dadurch Freiräume für die bewohnerbezogene Versorgung geschaffen werden.
Fazit
Vor dem Hintergrund einer insgesamt als stabil bezeichneten finanziellen Situation in den Einrichtungen (nur 4,6 % geben an, dass sie akut von einer Schließung, Insolvenz oder Übernahme bedroht sind), zeigen sich im System deutliche Grenzen, die durch bisherige Reformen nicht oder nur unzureichend beantwortet wurden. Durch die Pflegereformgesetze lassen sich offensichtlich bis auf wenige eher kosmetische Korrekturen (z.B. SIS) keine substanziellen Verbesserungen in den Einrichtungen erzielen. Die Pflegeberufereform wird überwiegend kritisch bewertet und die Einrichtungen befürchten hier die Verlierer der großen Reform zu werden.
Die Steuerungsprozesse werden insgesamt komplexer und kurzfristige Zugewinne werden sich mittelfristig nivellieren und verklingen. Ausweitungen von Nutzungsmöglichkeiten (z.B. der Kurzzeitpflege oder Tagespflege) bleiben theoretische Annahmen, wenn auf der Seite der Strukturbildung keine Änderungen erzielt werden können. Wartelisten und die Absage von Betreuungsanfragen zeigen deutlich die bestehenden Kapazitätsgrenzen auf. Die parallele Umsetzung zahlreicher Reformen und Vorgaben führt in den Einrichtungen zu einer beständigen Unruhe.
Als wesentlicher limitierender Faktor kann die Personalsituation benannt werden. Ohne eine deutliche Anpassung, die auf der einen Seite zur spürbaren Entlastung des bestehenden Personals führen und gleichermaßen auch die Infrastruktur der Ausbildung in den Blick nehmen muss, lassen sich keine substanziellen Veränderungen in Richtung Versorgungssicherheit und Angebotsausweitung erzielen. Maßnahmen, wie sie vielfach diskutiert werden (z.B. Ausweitung von Teilzeitstellenanteilen in Vollzeitstellen, aktive Bewerbung und Rückgewinnung von Pflegekräften) gehören längst zum Alltag der Einrichtungen und stellen keine der dringend benötigten Innovationen dar.
Der vollständige Studienbericht wird voraussichtlich im April auf den Seiten des Instituts veröffentlicht und steht dann kostenlos allen Interessierten zur Verfügung (http://www.dip.de)
Informationen zum DIP:
Das gemeinnützige Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. DIP führte seit dem Jahr 1999 mehr als 120 Studien und Projekte für Ministerien, Einrichtungen und Träger sowie Verbände durch. Zum Angebot des DIP gehört das gesamte Spektrum der Forschung, Entwicklung, Evaluation, Beratung, wissenschaftlichen Begleitung und Gutachtenerstellung im Pflege- und Gesundheitswesen. Das DIP ist ein Institut an der Katholischen Hochschule NRW (KatHO NRW) in Köln und betreibt einen weiteren Standort an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) bei Koblenz.
Kontakt:
Elke Grabenhorst, Telefon: 0221 / 4 68 61 – 30, E-Mail: dip(at)dip.de
Prof. Dr. rer. medic. Michael Isfort
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V.
Abteilungsleiter III (Pflegearbeit und -beruf)
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender
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Vorsitzender des Vorstandes: Prof. Dr. Frank Weidner
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Vereinsregister beim Amtsgericht Köln